Zwischen Afrika und Europa!

Kaplan Franck Prudence Ahokou machte im Juli zum dritten Mal eine Urlaubsvertretung in der katholischen Pfarrei Altstätten. Er stammt aus Benin in Westafrika.

Man kennt den noch jungen afrikanischen Priester schon recht gut in der katholischen Pfarrei St. Nikolaus. Das erste Mal machte er im Sommer 2017 eine Urlaubsvertretung, mittlerweile schon zum dritten Mal. Während Pfarrer Roman Karrer in den Ferien weilte, zelebrierte er an den Sonntagen die heilige Messe, hielt feinsinnige Predigten und übernahm auch sonst alle geistlichen Pflichten. Oft und gern wird er von Familien zu Ausflügen und Besuchen eingeladen. Franck Ahokou trifft sich aber auch bereitwillig mit einem Journalisten, redet offen über die Kirche in seinem Heimatland Benin, über Voodoo, die Flüchtlingsströme aus Afrika Richtung Europa. Kürzlich hat er begonnen, mit Unterstützung der Pfarrei Altstätten in Benin eine Schule, vor allem auch für Waisenkinder, zu bauen.

 

 

Ultramoderne Kirchen.

Franck Ahokou war nach seiner Priesterweihe zuerst zwei Jahre Kaplan in Benin. Vor zehn Jahren hat er seine Heimat verlassen und war im Erzbistum Köln als Kaplan eingesetzt. Vor kurzem wurde er zum Pfarrvikar in Leichlingen bei Köln ernannt. Im Interview erzählt er, dass sein Heimatland Benin, was den Glauben anbelangt, überwiegend katholisch ist. In der Stadt ist die katholische Religion die Nobelreligion, man gehört zur Nobelklasse, wenn man katholisch ist, sagt er. Alle Pfarrer, Priester und Bischöfe werden sehr respektiert. Allgemein praktizieren die Christen ihren Glauben sehr intensiv. Die grösste und ambitionierteste Pfarrei in Benin ist Sankt Michael, „La Paroisse Saint Michel“ in Cotonou, der ökonomischen Hauptstadt von Benin. Sie hatte zur Zeit, als Franck Ahokou Kaplan in seinem Heimatland war, einen Pfarrer und mehrere Kapläne. In der sehr grossen, ultra-modern gebauten Kirche, war jede Stunde eine heilige Messe. Die Gläubigen konnten jederzeit kommen. Auf dem grossflächigen Hof waren mehrere Kapellen, die Kapelle der Mutter Gottes, die Kapelle Erzengel Michael usw. Es gab viel spontane Bewegung. Menschen, die in Chören probten, die den Rosenkranz oder eine Novene beteten, die auf einen Priester zugingen und um eine Handauflegung baten. Es ist nie ruhig da, die Gemeinschaft ist sehr lebendig. Ein Schwachpunkt der Kirche Benins sei, dass die Unterschiede im Einkommen zu gross sind. Die Priester leben von den Spenden der Gläubigen. Auf dem Land sieht man immer lebendige Kirchen, aber die Kirchen haben zu wenig Spenden, sodass die Priester davon nicht leben können. Die Pfarrer in den grossen Pfarreien der Städte haben keine Geldsorgen. Sie haben mehr, als sie brauchen, während die anderen in Armut leben.


 

Traditionelle Voodoo-Religion.

Bevor das Christentum nach Benin kam, war die Verehrung der Vorfahren und die Voodoo-Religion die tief verwurzelte Tradition. Die Europäer machen sich laut Franck Ahokou völlig falsche Vorstellungen von der Voodoo-Religion. Dabei geht es nie um mehrere Götter. Wir sind nie Polytheisten gewesen, sagt Franck Ahokou. Man glaubte an denselben Gott, an den Einzigen, der Himmel und Erde, Menschen und Tiere, ja die ganze Schöpfung ins Leben gerufen hat. Voodoo ist ein Vermittler zwischen Gott und den Menschen, eine Hilfe, die die Menschen vor den bösen Geistern beschützen kann. Das Christentum hat versucht, es auch geschafft, die traditionellen kulturellen Schätze zu integrieren. Die Leute kommen mit ihren Trommeln in die Kirche. Sie tanzen für Jesus Christus. Damit fühlen sie sich nicht mehr fremd mit der katholischen Religion. Sie wissen, sie können aus dem Kult für Jesus Christus, der gemeinsamen heiligen Messfeier, ihre eigene Sache machen. So fühlen sie sich dann zu Hause in der Kirche. Das gelingt wirklich sehr gut, sehr intensiv und kraftvoll. Sonntags sind die Kirchen immer voll, sogar draussen stehen noch Leute. Es werden jedes Jahr neue Kirchen gebaut, weil es immer an Plätzen fehlt.

 

Im Norden des Landes gibt es immer noch viele Menschen, die ganz fest mit dem Voodoo, mit der traditionellen, afrikanischen Tradition, verankert sind. Es gibt sehr viele Stämme und Sprachen. Oft hat jeder Stamm seine eigene Kult-Organisation und Voodoos. Gott heisst in der Sprache Benins „Mawu Aklunon gbédoto“, der Schöpfer Gott. Auch im Voodoo soll der Mensch Gutes tun, authentisch leben, um zu Gott zu gelangen. Voodoo gehört zu den Wurzeln unserer Tradition, Kultur und Kult unserer Vorfahren, sagt Franck Ahokou. Es geht da um Identität. Wir Priester versuchen, das Evangelium zu inkulturieren, damit die Leute sich zu Hause fühlen.

 

 

Immer wieder Hungersnöte.

Die Ursachen der Migration von Afrika nach Europa kennt Franck Ahokou gut. Es ist die wirtschaftliche Not in ganz Zentralafrika. Er selbst hat mit seiner Familie im Jahre 1989 eine Hungersnot erlitten. Es war ein dramatisches Jahr, in dem sein Vater das ganze Jahr kein Gehalt hatte. Vom Morgen bis am Abend wussten sie nicht, was sie essen sollten. Als kleines Kind von etwa neun Jahren musste er auf Kokosnussbäume klettern und Kokosfrüchte pflücken. Und nur das hatte er zum essen. Wenn man Glück hatte, fand man etwas Mais auf einem Feld. Einfach nehmen und essen, wie im Evangelium. Auch die vier Jahre darauf waren schwierig, immer wieder Hungersnot. Es ist ein Wunder, dass wir nicht gestorben sind. Diese Jahre waren sehr schmerzhaft.

 

Der Lebensstandard einer kleinen Schicht ist zwar sehr hoch, aber die normale Bevölkerung verdient ganz wenig. So haben die Leute oft nicht die Möglichkeit, jeden Tag zu essen. Der normale Beniner hat kein Konto. Was unsere Leute an finanziellen Möglichkeiten haben ist, was sie gerade in der Tasche tragen. Das ist sehr prekär, so zu leben. Es gibt keine Krankenkasse, keine Sozialhilfe. Sehr gefährlich, wenn man Familienvater ist, Kinder hat. In Ländern, wo Krieg herrscht, ist es noch schlimmer. Vor allem Waisenkinder sind da grossen Gefahren ausgesetzt. Wenn die Eltern da sind, suchen sie nach Möglichkeiten. Aber wenn sie nicht mehr da sind?

 

Ehemalige Kolonialmacht Frankreich.

In Benin ist man nicht rassistisch gegen die weisse Farbe. Im Gegenteil, der normale Beniner ist sehr sympatisch mit den Europäern. Die Leute sehen im Fernseher, glauben, dass das Leben in Europa einfacher ist, dass man dort nicht leidet, dass es schöne Häuser gibt und keine Hungersnot. Die Jugendlichen träumen davon, aus dem Elend in Afrika rauszugehen, dieses Land der Weissen zu besuchen und dort zu leben. Schuld an der Armut ist in seinen Augen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich. So viele Migranten sind unterwegs, weil Frankreich so viel kaputt macht. Das dürfen sie schreiben, sagt Franck Ahokou, man kann es auch im Internet abrufen. Die Währung von Benin wird von der Banque de France gemacht, sie haben ein Vetorecht über unsere Finanzen, und das Geld wird in Frankreich gedruckt. Sie haben zu viel Einfluss auf unsere Politiker. Bei Wahlen haben die Franzosen immer einen eigenen Kandidaten, der ihnen gehorcht. Es geht um Geld und Bodenschätze. Was unter unserer Erde ist, gehört uns nicht mehr. Wenn man Frankreich nicht gehorcht, hat man alle Probleme der Welt. Wenn Frankreich uns in Ruhe lässt, da entwickeln wir uns aber rasant, ist er überzeugt. Aber wenn es so bleibt, können wir alles tun, wir werden nie voranschreiten. So sind die Jugendlichen ohne Arbeit, ohne Zukunft, ohne Mut, ohne Hoffnung. Und zusätzlich die Waffen, geliefert von Frankreich, den USA, Krieg überall. Deshalb sind sie bereit, im Mittelmeer zu sterben. Wenn sie zu Hause kein Essen haben, spielt es keine Rolle, wo sie sterben. Sie ergreifen die kleine Chance, nach Europa zu gelangen.

 

Eine Schule in Benin.

Um Hilfe zu bringen, will Franck Ahokou in Benin in einem kleinen Dorf namens Gbeko eine Schule bauen. Die Pfarrei Altstätten hat dieses Projekt mit einer grosszügigen Spende unterstützt. Seine Pfarrei in Deutschland hat auch ihre Spende dazu getan. Das Geld wurde seinem Bischof, Gonzallo Aristide von Porto-Novo, überwiesen. Die Bauarbeiten konnten wegen Ueberschwemmungen lange nicht begonnen werden. Jetzt aber ist man dort im vollen Einsatz. Es wird Tag und Nacht gebaut. Man ist noch am Fundament. Alles wird von Hand gemacht. Wir haben keine Bagger, aber die ganze Gemeinde steht im Einsatz, damit es nicht zu teuer wird. Sie freuen sich riesig auf diese Hilfe. Die Schule wird bald fertig und einsatzbereit sein. Interessierte Gemeindemitglieder aus der Seelsorgeeinheit sind eingeladen, zur Eröffnung mitzufliegen, damit sie vor Ort sehen, was mit ihrem Geld gemacht wurde. Die Reise wird organisiert, von Paris fliegen alle mit dem gleichen Flugzeug nach Benin.

Eine besondere Beziehung hat Franck Ahokou zu Waisenkindern, besonders Vollwaisen. Deshalb fragt er, ob es Menschen gibt, die eine Patenschaft übernehmen wollen. Ein halber Franken pro Tag für das Schulbrot. Das hilft Waisenkindern, die keine Hoffnung haben. Die Kinder schreiben den Paten, erzählen von der Schule, sodass eine Beziehung entsteht. Inzwischen kehrte Kaplan Frank Ahokou zurück nach Köln. Anfang August war er in Benin, um neue Fotos und Informationen von der neuen Schule zu schicken.

 

Altstätten, 12.08.2021

 

Theodor Looser